
„Who Cares?“ lautete das diesjährige Motto der re:publica in Berlin, bei der ich zum ersten Mal dabei sein durfte. Zu Deutsch überspitzt „Wen juckt’s?“ oder netter ausgedrückt „Wen kümmert’s?“ – was recht gut die aktuelle Lage der Welt in der Omnikrise beschreibt. Drei Tage lang Eintauchen in die Tiefen der Mediengesellschaft, Digitalkultur und Netzpolitik; drei Tage lang wurde hinterfragt, diskutiert und auch ein wenig gestritten, aber vor allem feierte sich die Medienszene selbst.
Und ich konnte wunderbar an meine Studienzeit anknüpfen – und das ist mal mehr als 15 Jahre her. Damals nannte sich mein Forschungsschwerpunkt Medienanthropologie – oder wie mein Prof Manfred Faßler – der leider 2021 viel zu früh verstorben ist – zu sagen pflegte: die Anthropologie des Medialen. Inzwischen klingt der Begriff etwas aus der Zeit gefallen, wahrscheinlich ist heute Digitale Anthropologie oder Anthropologie des Digitalen passender.
Besonders anschlussfähig zeigte sich das Panel „Verloren auf Plattformen“ zu Beginn der re:publica, quasi für mich zum Warmwerden. Es wurde vor allem über X, ehemals Twitter diskutiert. Einhellige Meinung: Den eigenen Content nicht in die Hände von Plattformen übergeben und sich von ihnen abhängig machen, sondern die Hoheit über die Inhalte behalten. Am besten selbst bloggen – aber das wissen wir schon seit mindestens 10 Jahren. Interessant für mich auch, dass das Business-Netzwerk LinkedIn kein großes Thema auf der re:publica war – dort kann man ja längst Artikel und sogar Newsletter für die eigene Community erstellen. Umso mehr ging es um X, Tiktok, Instagram, Meta (WhatsApp und Threads) sowie Mastodon und Bluesky.
Homo prospectus: Besessen von Zukunft

In Sachen Zukunft war ich vor allem gespannt auf die Vorträge von Florence Gaub und Maja Göpel. Gaub, Forschungsdirektorin der NATO-Militärakademie in Rom, lieferte eine Bedienungsanleitung für die Zukunft – per se ein Widerspruch in sich, denn wie soll denn die Zukunft als Objekt einfach zum Laufen gebraucht werden und funktionieren? Und doch macht dieser Ansatz wunderbar deutlich, dass Zukunft nichts ist, was einfach passiert, sondern beeinflussbar ist – und zwar durch mich.
„Die Zukunft ist jetzt schon da und das, was wir heute über sie denken“. Der Mensch sei regelrecht „zukunftsbesessen“ – dabei ziehen allerdings die meisten eine negative Sicherheit einer unsicheren Möglichkeit vor; also wir schränken unsere Optionen auf unterschiedliche Zukünfte ein und klammern uns eher an das Gewohnte oder Bekannte. Einer Bedienungsanleitung innewohnend ist auch der Gedanke, dass man das zu Bedienende glücklicherweise auch reparieren kann: Kaputte Zukünfte lassen sich durch das eigene Denken und Handeln reparieren. Dabei geht es nicht darum, gleich die ganze Welt zu retten, sondern sich auf das zu fokussieren, was man beeinflussen kann.
Eco-Transition instead of Ego-Fixation

Die Politökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel spricht in ihrem Vortrag von der „Waschmaschinenzeit“, in der man nicht so genau weiß, wo es hingeht. Die einen suchen Sicherheit darin, indem sie den Kreis enger, kleiner machen, in der „Ego-Fixation“. Die anderen treten einen Schritt zurück und versuchen von außen auf das Chaos, auf das Durcheinander zu blicken, in dem sich die Gesellschaft gerade befindet.
Sie versteht Caring als wichtigen Zugang zu Kohärenzerfahrungen. Kohärenz beinhaltet zu verstehen, worum’s geht, Handhabbarkeit, also dass man selbst etwas tun kann und die Sinnhaftigkeit des Tuns, dass es sich lohnt. Und in der heutigen Gesellschaft ist es leider so, dass sich Caring nicht lohnt und dass die Großen eben nicht besonders fürs Ganze sorgen. Sie stellt den Wohlstandsbegriff in Frage, der auf Wachstum im Sinne von Vermögensvermehrung beruht. Caring ist Versorgungssicherheit und gemeinsam Sorge für die Zukunft zu übernehmen.
Übrigens: Auch Waschmaschinen lassen sich reparieren.
Vom Luxus zur Notwendigkeit
Ums Reparieren ging es auch in weiteren Vorträgen und Diskussionen: Das Reparieren als Kulturtechnik, die uns davor bewahrt, die Zukunft als etwas Feststehendes zu sehen und uns gegen ein Denken stärkt, alles sei dem Niedergang gewidmet (Declinism), so die Künstlerin und Autorin Jenny Odell. Unterschiedliche Blickwinkel der „Right to Repair Bewegung“ im globalen Norden und Süden zeigen, dass bei uns das Reparieren zum Luxus geworden ist, weil es meist teurer ist, Dinge zu reparieren, als sie neu zu kaufen, während in anderen Regionen, das Reparieren eine Notwendigkeit ist.
Spannend auch die Insights zum Digitalen Produktpass in der EU, dessen Standards bis Ende 2025 definiert sein werden und der 2027 zunächst für Batterien gelten und dann schrittweise für alle physischen Produkte erweitert werden soll. Im besten Fall sorgt er nicht nur für mehr Transparenz über Herstellungsbedingungen und Zusammensetzungen, sondern auch für eine bessere Reparierbarkeit bzw. befeuert die R-Strategien (Reduce, Repair, Recycle) der Kreislaufwirtschaft.
Die Zeit scheint also gekommen, dass auch für uns das Reparieren zur Notwendigkeit wird – als Kulturtechnik einer neuen Gesellschaft, die es lernt, mit multiplen Krisen zu leben.
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