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Vortrag zur Ausstellung „Gesichter und Landschaften“

Einführung in die Ausstellung „Gesichter und Landschaften“, Malerei von Manfred Maria Rubrecht, Rede am 29. März 2025 in der Remisengalerie, Schloss Philippsruhe für den Hanauer Kulturverein. 

Blick in die Gesichter

Was ist der Mensch? Seit über 40 Jahren ist der Mensch und das gemalte Porträt der rote Faden von Manfred Maria Rubrecht (MMR). Seit über 40 Jahren blickt der Künstler auf die Menschen, sieht tief in ihre Gesichter und fängt ihre Emotionen auf Leinwand ein. Dabei bildet er nicht nur den Menschen und sein Konterfei ab, sondern fängt Stimmungsbilder ein, reflektiert über die Zeit und die Kunst. 

Meist blicken wir in lachende Gesichter; in Gesichter, über die die Emotion hereinbricht. Wir fühlen uns fast wie ertappt, als würden wir in eine Szene, in eine Situation hineingeraten, Teil eines Erlebnisses werden, mit dem wir eigentlich gar nichts zu tun haben. Als würden wir eine Tür zu einem intimen Raum öffnen, hineintreten beinahe wie ein Voyeur. Wir sehen diese hemmungslos fröhlichen Gesichter und fragen uns: Warum lacht diese Person so, was hat sie erlebt, was bringt sie so lauthals zum Lachen? Beinahe können wir sogar den Ton, das laute Lachen hören, die Vibration spüren … 

 

Über was lacht sie nur, diese Person, über wen lacht sie? 

Lacht sie etwa über uns, über mich? 

 

Ist es ein wohlwollendes Lachen oder eher ein Auslachen? 

 

Das Unbehagen wandelt sich: Fühle ich mich zu Beginn als Betrachterin, als Betrachter überlegen, betrachtet mich jetzt sozusagen das fremde Gesicht ebenfalls, es blickt zurück auf mich – und lacht. Doch ich verstehe das Lachen nicht, ich kenne die Person nicht, ich kann ihre Emotionen nicht einordnen, mir fehlt der Kontext – und genau das löst Unbehagen aus.

Und genau das waren sicherlich auch Gründe, warum das Abbilden von Emotionen, von Temperament, von Lachen, von vor Freude verzerrter Gesichter lange Zeit als verpönt galt. Es war ein absolutes No-Go, Personen von höherem Stand emotional abzubilden. Portraits waren stilisierte Abbildungen, es waren Demonstrationen der Macht. Einer der ersten, der es in der Geschichte der Kunst wagte, war Frans Hals (1580-1666). Der niederländische Künstler fing im 17. Jahrhundert Bewegung und Temperamente der Menschen ein, meist als flüchtige Momentaufnahmen und mit einer Leichtigkeit auf Leinwand gebracht. Nicht ohne Grund wird er der „Maler des Augenblicks“ genannt. Er schuf Porträts der bürgerlichen Oberschicht bis hin zu Außenseitern, Musizierenden, Trinkenden, Kindern, die dann alle auch lauthals oder schelmisch lachen durften.  

Dabei sind Emotionen schwer zu fassen und noch schwerer ist es, sie in einem Bild einzufangen. MMR gelingt es perfekt. Dabei geht es ihm im Laufe der Zeit immer weniger um die Person, um das Individuum, sondern immer stärker um das ausgedrückte Gefühl. Manchmal auf die Spitze getrieben in lachenden Grimassen, in ausdruckslosen Gesichtern oder fragenden Blicken. Die Konturen der Gesichter sind unscharf, die Übergänge zwischen Mensch und Raum fließend. Oft entfalten sie ihre komplette Wirkung erst, indem man Abstand von ihnen hält, indem man ihnen den gebührenden Abstand gibt, den dargestellten Gefühlen nicht zu nahe rückt. In der Nähe verspüren wir wieder dieses Unbehagen. Denn je näher man ihnen kommt, desto unergründlicher werden sie, es scheint wie ein Blick in die menschliche Seele. 

Diese Menschen in ihren Gefühlsausbrüchen sind nicht perfekt, sie sind keine Models, sie sind nicht perfekt in Szene gesetzt, sie sind nicht instagrammable, Instagram tauglich. Sie entsprechen nicht den heutigen Schönheitsidealen der Social-Media-Welt mit ihren Filtern, nicht dem schönen Schein der heutigen Selfie-Kultur. Und gerade dadurch wirken sie echt, authentisch, eben nicht pseudo-perfekt. 

Der Hintergrund ist monochrom, die Leinwand lässt Raum zum Atmen für Weiterentwicklung und Entfaltung. Die Balken oder Linien am unteren Bildrand geben den Menschen und den Gesichtern Halt, mal mehr, mal weniger. In manchen Fällen scheinen sich die Menschen hinter ihnen zu verstecken. Oder ist das eine Anspielung auf den Augenbalken oder gar ein Zensurbalken? Während der Künstler einmal verdeckt, öffnet er in anderen Kunstwerken wiederum das Gesicht, indem er die ursprüngliche Funktion des Balkens umkehrt und die Augenpartie heraushebt, förmlich leuchten lässt. Sie fordern uns auf, loszulassen, uns fallen zu lassen und das Unperfekte zuzulassen. 

Blick auf die Landschaften

Doch MMR blickt nicht nur auf den Menschen, er begibt sich nicht nur auf die Suche nach dem, was der Mensch ist, was ihn ausmacht, sondern auch nach dem, was der Mensch macht. Seit 2015 widmet er sich in einer neuen Schaffensphase neben der Porträtmalerei auch der Landschaftsmalerei. Doch wie sollte es auch anders sein, auch hier ist der Künstler in seinem Blick nicht weniger scharfsinnig und kritisch. 

Ein Schlüsselwerk ist seine „Hommage an Caspar David Friedrich“. Der Blick in die Weite, in die Ferne, auf die untergehende Sonne gerichtet, doch wo ist die Landschaft, wo ist die Natur – und welche Rolle spielt der Mensch? Wo sich bei Caspar David Friedrich noch ein einzelner, einsamer Betrachter im Bild findet, ist bei MMR jegliche Naturromantik verflogen. „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ ist bei MMR ein verkohlter Baumstumpf! Das, was wir glaubten, als Sonnenstrahlen über dem Meer auszumachen, sind wohl eher noch schwelende Glutnester des Waldbrandes. Und wahrscheinlich ist das Blaugrau nicht das Meer oder Nebelschwaden, sondern eher verglühte Aschepartikel und verkohlte Landschaft. Und das Orange im oberen Bereich des Bildes – Sie ahnen es bereits – ist eher nicht das Farbspiel der untergehenden Sonne, sondern das orangene Glühen der Feuersbrunst, das den Himmel in sanftes orange-grau-blaues Licht taucht. 

Nach diesem sehr eindeutigen Bild geht uns die Interpretation der anderen Landschaftsmalereien zwar nicht leicht von der Hand, es ist wahrlich schwere Kost, doch zumindest verstehen wir die Intention des Malers. In keinem Fall sehen wir auf einem Kunstwerk auch nur die Andeutung eines Menschen – und doch ist er auf jedem Kunstwerk präsent. In den Wellen des kühlen, blauen Meeres vermuten wir – ohne es zu sehen – sterbende Fische und Plastikmüll. Wir sehen die vorbeirauschende Landschaft wie aus der Fensterscheibe des Autos, bei einer Fahrt über die Autobahn. Ein scharfer weißer Keil durchbricht das Gestein eines Berggipfels, schießt förmlich nach oben – Titel des Gemäldes: Highway. 

Auch Rubrechts Landschaftsporträts werden meist durch einen Sockel, durch einen Balken geerdet. Häufig finden sich aber neben dem Balken noch weitere geometrische Formen im Kunstwerk. Sie wirken wie Fremdkörper in der Landschaft, sie zerschneiden das Bild, teilen es auf; erden es manchmal, dominieren es häufig, irritieren immer. Manchmal subtil zurückgenommen in der Farbigkeit, manchmal dominierend durch ein glühendes Rot, das z.B. für das Glühen des Asphalts steht. 

Die Natur ist uns fremd geworden, sie rückt in den Hintergrund, sie wirkt verwaschen, undeutlich – als könnten wir sie bald ausradieren, als hätten wir den Radiergummi schon angesetzt und mit dem Lineal neue Konturen gezogen, unsere Konturen. In MMRs Landschaftsmalerei hinterlassen wir als Menschen nicht unseren Fußabdruck, sondern wir hinterlassen Linien, wir hinterlassen geometrische Formen, die noch weniger in die Natur passen. Es ist eine Aneignung, die komplette Dominanz der menschlichen Kulturleistung über die Natur, die Rubrecht in seinen Werken darstellt. Und doch wirken die Landschaften nicht brutal, sondern sind auf ihre ganz eigene Weise ansprechend, harmonisch, ästhetisch. Das mag damit zusammenhängen, dass symmetrische Strukturen und geometrische Formen als das Non-Plus-Ultra der Ästhetik gelten. Aus diesem Grund wirken MMRs geometrische Formen zwar wie Fremdkörper, aber eben wie freundliche Fremdkörper. Sie irritieren, schaffen aber zugleich Ordnung, sie zerschneiden, aber geben auch zugleich Halt. 

Und was wünscht sich der Mensch in Krisenzeiten mehr als Halt, Sicherheit, als Schönheit, als Ästhetik? Was braucht er mehr? Braucht er die Natur? Braucht die Natur den Menschen? Manfred Maria Rubrecht überlässt das ganz dem Auge des Betrachters.