
Ein wahrer Geschichtenerzähler ist der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der in seinem Vortrag auf der re:publica24 auf eloquente und unterhaltsame Weise für mehr langfristiges Denken im Journalismus plädiert. Ein Treffen mit dem ehemaligen Gouverneur von Kalifornien, Jerry Brown, brachte Pörksen dazu, sich mit langfristigem und kurzfristigem Denken auseinanderzusetzen: „Can we build a civilisation on news and hypes?“ In dieser Frage stecken zwei extreme Zeitdimensionen: die langfristige Entwicklung der menschlichen Zivilisation und Evolution sowie die kurzfristige Jetztzeit der Hypes, das „totale Jetzt“. Veranschaulicht wurde das bereits in dem Pace-Layering-Modell von Stewart Brand, der die Long Now Foundation ins Leben gerufen hat und an der Entwicklung der „Clock of the Long Now“ arbeitet. Mit diesem Denkmodell kann besser verstanden werden, wie komplexe Systeme funktionieren und wie sie sich im Laufe der Zeit verändern – es ist auch Grundlage der Trendsystematik in der Trend- und Zukunftsforschung.
Abschied von der Kultur des Hypes
Der Aufmerksamkeitscrash, von dem Bernhard Pörksen spricht, entsteht dadurch, dass die zwei Zeitdimensionen aufeinanderprallen: Die Kurzfristigkeit als das empirische Gegebene und die Langfristigkeit als das Notwendige, um die multiplen Krisen zu meistern. Durch die Entwicklung der Medien in den letzten Jahren hat sich ein „Kult der Kurzfristigkeit“, eine „Kultur des Hypes“ etabliert. Wir lassen uns von kurzen Momentaufnahmen leiten – kurzfristiges Denken blendet die möglichen Folgen aus. Social Media setzt auf diese kurzen Impulse und Aufmerksamkeitsspannen – kaum geklickt und schon verpufft. Ich frage mich, ob wir uns durch dieses kurzfristige Denken nicht einer wichtigen menschlichen Fähigkeit berauben: der Fantasie, dem Geschichtenerzählen, dem Träumen. Wenn wir uns nur mit dem Hier und Jetzt beschäftigen, wo bleibt die Weitsicht, die Imagination? Wir haben’s uns gemütlich gemacht, anstatt die Informationsflut zu filtern, haben wir die Informationen verkürzt, sodass sie schneller hintereinander kommen können und wir weniger denken, sondern nur noch kurz wahrnehmen müssen und uns ablenken können…
Zurück aus der Zukunft in die Gegenwart
Pörksen spricht davon, dass öffentliche Aufmerksamkeit und der Journalismus im Aktualitätsfetisch feststecken – und er liefert eine Lösung: Ein neues Berichterstattungsmuster, das er „Szenarienjournalismus“ nennt. Dessen Aufgabe ist es, in Zeiten von Krisenverdichtung Wege in eine andere Zukunft aufzuzeigen. Denn ganz ehrlich und unter uns: Schnelle und aktuelle Nachrichten können künftig auch Algorithmen liefern – das Entscheidende wird die Einordnung in den Kontext sowie die Bedeutung für die Zukunft sein. Das Denken in Szenarien kontert den Kult der Kurzfristigkeit und sorgt dafür, dass wir uns mit Dingen von existenzieller Relevanz beschäftigen. Ich finde, wir können an dieser Stelle ruhig noch einen Schritt weitergehen: Nämlich uns nicht nur von heute aus vorzustellen, was wäre, wenn und welche Möglichkeiten und Wege gibt es, um hyperkomplexe Probleme zu lösen, sondern uns direkt in die Zukunft zu beamen. Also nicht mithilfe von Szenarien in die Zukunft zu blicken, sondern von der Zukunft aus zurück in die Gegenwart zu schauen. Und sich zu fragen: Was waren die entscheidenden Entwicklungen und Meilensteine, die dazu beigetragen haben, dass wir heute (in der Zukunft) hier stehen? Der Zukunftsforscher Matthias Horx nennt das Regnose, eine Denkübung. Was musste beispielsweise passieren, dass wir die Klimakrise gemeistert haben? Oder welche Entscheidungen haben zur Stärkung der Demokratie beigetragen? Solch eine Reise in die Zukunft befreit uns aus den Denkmustern von Hypes und Trends und lässt uns das große Ganze wieder besser erkennen.
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